Kulissengespräch mit Elisabeth Einecke-Klövekorn
Wie sieht das Theater der Zukunft für Sie aus?
Zukunft läuft immer anders ab, als man denkt. Das Theater gibt es jedoch seit mehr als 2.000 Jahren. Es wurde schon oft totgesagt und hat sich immer wieder neu erfunden. Als Bildungseinrichtung wird es weiterhin der Traditionspflege dienen, als Spiegel der Gesellschaft aktuelle Probleme aufgreifen und kreative Ideen erproben. Das Spiel lebendiger Menschen hier und jetzt macht seine Besonderheit aus und ist gerade angesichts der zunehmenden gesellschaftlichen Entfremdung unverzichtbar.
Im Übrigen: ‚das Theater‘ gibt es nicht, sondern eine große Vielfalt von darstellenden Künsten. Die vielseitige deutsche Theater- und Orchesterlandschaft steht aus guten Gründen seit 2014 auf der nationalen UNESCO-Liste des immateriellen Kulturerbes.
Die öffentlich finanzierten Theater müssen dennoch ihre Relevanz ständig neu beweisen. Die Stadttheater werden – trotz weiterer Mittelkürzungen – eine zentrale Säule des kommunalen Kulturlebens bleiben. Im besten Fall in produktiver Koexistenz mit den privaten und freien Bühnen. Alle werden sich noch stärker zu diskursiven Orten entwickeln, mehr Energie auf edukative Leistungen verwenden und auf demographische Veränderungen reagieren. Denn wir sind ein Einwanderungsland mit einer wachsenden Zahl von Menschen aus nichteuropäischen Kulturen.
Das Theater der Zukunft wird sicher internationaler, ästhetisch bunter und offener für seinen wichtigsten Partner: das Publikum. Natürlich gibt es ‚das Publikum‘ nicht. Für den größten Teil werden Theaterbesuche weiterhin ein Teil der Freizeitgestaltung in Konkurrenz mit zahlreichen anderen Angeboten bleiben. Festivals und sonstige ‚Events‘ werden zunehmen.
Zwischen guter Unterhaltung und kritischer Grundlagenforschung bewegt sich viel auf den Bühnen, die die Welt bedeuten sollen. Aber bekanntlich gibt es auch ‚die Welt‘ nicht. Vielleicht ist das Theater mit seiner unmittelbaren Sinnlichkeit und seinen fabelhaften Illusionen das beste „Ent-Täuschungs‘-IMedium überhaupt. Genau das erwarte ich für seine Zukunft, also Widerstand gegen die inszenierte Gegenwart und deren Performer.
Was ist die Lieblingsbeschäftigung einer „Grande Dame der Kultur“, wie Sie einmal genannt wurden, abseits allem Kulturellem, bei welcher Tätigkeit und wo können Sie am besten abschalten?
Schwimmen, Spazieren gehen, Bahnfahrern, gutes Essen. Gern auch Bügeln, weil man da sofort das Ergebnis sieht, oder Kochen, weil das Ergebnis schnell verschwindet.
Sie sind bereits seit 2000 Vorsitzende der Theatergemeinde Bonn e.V. und nah am Puls des Theaters über viele Jahre hinweg. Wechselnde Intendanten, Bonn als Bundeshauptstadt mit Repräsentationspflichten, lange Zeit profierte die Oper und Theaterlandschaft von dieser Geldquelle, allerorten nur noch Mangelwirtschaft in der Theaterlandschaft. Inwiefern beeinflusst diese Mangelwirtschaft die Qualität des Theater heute, vielleicht ein Beispiel und was macht für Sie ein gelungenes Theaterstück aus?
Vorher war ich schon 10 Jahre lang Vorsitzende der Jungen Theatergemeinde Bonn; Kinder- und Jugendtheater gehören immer noch zu meinen Spezialgebieten.Der Bedeutungswandel der Stadt und die damit verbundene massive Veränderung der Bevölkerungsstruktur machen sich im kulturellen Leben selbstverständlich bemerkbar. Es gelang nach dem Hauptstadtbeschluss, die Bundesmittel noch eine Weile zu erhalten bis zum großen Einschnitt zum Beginn des Jahrtausends. Bonn ist keine arme Stadt, aber wie die meisten Kommunen mit steigenden Pflichtausgaben überlastet. Kultur gehört leider zu den sogenannten freiwilligen Leistungen. Theater ist naturgemäß personalintensiv, folglich überall der größte Posten im Kulturetat und von Stellenkürzungen besonders betroffen. Unter Generalintendant Klaus Weise fielen bereits die Biennalen und die eigene Tanzsparte den Sparmaßnahmen zum Opfer.
Mangel kann erfinderisch machen, die privaten und freien Theater beweisen es ständig. Dennoch gbt es Grenzen der Belastbarkeit. Qualifizierte Handwerker und Techniker haben ihren Preis. Künstlerinnen und Künstler brauchen motivierende Arbeitsbedingungen. Bisher st es unter der Generalintendanz von Bernhard Helmich gelungen, das Publikum den Mangel kaum spüren zu lassen. Die Oper spielt auf hohem Niveau, das Schauspiel mischt sich mit wachsendem Erfolg ein. Qualitätsurteile sind bei Kunstwerken freilich immer subjektiv und historisch gebunden. Eine gelungene Aufführung soll eine spannende Geschichte interessant präsentieren und dabei möglichst gut unterhalten. Wie das funktioniert (oder auch nicht), ist jedesmal anders.
Klassisches Repertoire Theater gegen Dokumentartheater, liegt die Geschmacksfrage eher beim Alter des Zuschauers oder in der Zusammensetzung der Stadtbevölkerung?
Viele heutige ‚Klassiker‘ waren zu ihrer Entstehungszeit kritische Gegenwartsstücke. Alles kann Theaterstoff sein, egal ob Dokumente, Zeitzeugen oder pure Fiktion eingesetzt werden. Jede Form von radikaler Verfremdung bis zu totaler Identifikation ist möglich. Die Zeit der dogmatischen Einseitigkeit ist vorbei, die Profilierung in der ‚anything-goes‘-Beliebigkeit dafür umso wichtiger. Ziemlich alt wirken mittlerweile aufdringliche Regiekonzepte, als Ironie getarnte Albernheiten, postdramatische Illusionsbrüche, Videos, angestrengte Aktualisierungen usw. Das Theater darf seinem Publikum durchaus eigenes Denken zutrauen.
Ein Stadttheater ist anders aufgestellt als ein Metropolenhaus, muss also ein Programm mit Repertoirewerken, Uraufführungen und verschiedenen Regiehandschriften bieten. Zielgruppen-Theater ist eher langweilig – mal abgesehen davon, dass nicht alles für Menschen unter 16 geeeignet ist. Natürlich bringen alle Altersgruppen und sozialen Milieus verschiedene Erfahrungen mit. Das Theater ist dazu da, diese zu teilen und jeden durch andere Sichtweisen zu überraschen. Für bloße Zerstreuung gibt es genügend sonstige Medien. Und 35 Millionen Theaterbesuche pro Jahr in Deutschland zeigen, dass Theater gebraucht wird. Dennoch werden nie alle das Theater nutzen. Aber warum darf Kunst nicht ein bisschen elitär sein? In vielen anderen Bereichen wird das gefordert und gefördert.
Warum leben Sie gerne in Bonn, welches Lebensgefühl bietet Ihnen die Stadt, welcher Ort oder welches Land wäre für Sie noch Heimat?
Bonn ist kleinteilig, aber trotzdem vielseitig und weltoffen. Es hat großartige Museen und Ausstellungen, ein reichhaltiges Musikleben, viel Grün und den Rhein. Ganz besonders liebe ich den Bad Godesberger Wochenmarkt mit seinem tollen Angebot an Obst und Gemüse. Sonst bin ich gern überall neugierig unterwegs, am liebsten in größeren euopäischen Städten. Fast wie zu Hause fühle ich mich beim sommerlichen Theaterfestival in Avignon. Die kleine Stadt an der Rhône ist dann ungemein lebendig und voller bunter Theaterideen.
Elisabeth Einecke Klövekorn, Vorsitzende der Theamtergemeinde Bonn, Kulturjournalstin
Angela Biller Interview, Fotos